Chianti Classico – Würze und Struktur statt Frucht und Säure

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Rebberge und Olivenhaine vor den Toren von San Gimignano.

Die Nonna war schuld. Obwohl sich langsam Sattheit bemerkbar machte, wollten wir nicht aufhören. Die Antipasti, die Primi Piatti und das Fleisch der Secondi alla Griglia, die die Nonna uns nacheinander auftischte, waren köstlich. Ganz zu schweigen vom Chianti Classico von Brolio und dem Vin Santo zum Abschluss. Das Ristorante La Castellina in Montefioralle ob Greve in Chianti vergessen wir nicht.

Dieser Besuch trug zu den Erinnerungen bei, die ich an die Toskana habe: frische, herzhafte Speisen und Weine, die manchmal ausgeklügelt, manchmal deftig sind. Umso grösser die Überraschung bei der Degustation einer Serie von Chianti Classico Annata und Chianti Classico Gran Selezione. Von Frische war kaum etwas zu spüren. Die Frucht fehlte. Das Holz drückte kräftig durch. Und das lag sicher nicht nur daran, dass im Saal weit und breit keine Nonna auszumachen war.

Kein Unterschied zwischen traditionell und modern

Ob ein Weingut einen modernen oder traditionellen Chianti Classico produziert (traditionell: beispielsweise La Castellina; modern: Casale dello Sparviero und Querceto di Castellina), war im Gaumen nicht auszumachen. Zu ähnlich waren sich die Chianti Classico bzw. die Gran Selezione. Den verkosteten Chianti Classico war – mit drei Ausnahmen – gemeinsam, dass sie Holz- oder Rauchnoten hatten. Frucht fehlte in vielen Fällen im Gaumen gänzlich, und wenn, dann waren es nur schwache Noten, oft undefinierbar. Bei der Gran Selezione tauchten die Holz- und Rauchnoten verstärkt auf. Dazu kamen Caramel- und Röstnoten. Frucht und Säure waren kaum spürbar, Würze und Struktur dominierten.

Neue Regeln seit 2013

Was die Weine in ihrer Jugend an Fruchtigkeit vermissen lassen, legen sie an Struktur und Körper zu. Viele werden mit dem Alter finessenreich, rund und ausgewogen. Der Weintrinker muss sich fragen, was er von einem Chianti Classico erwartet: Frucht und Säure oder Würzigkeit und langes Leben? Ich ziehe die fruchtigen und säurebetonten Chianti Classico den langlebigen Gran Selezione vor (siehe dazu: Jens Priewe fragt im Artikel «Chianti Classico im ‹Gran Selezione›-Rausch», ob der Markt diese Weine wirklich brauche, Weinkenner.de , 20. März 2014; und Burton Anderson über die Identitätskrise des Chianti Classico in «Mein eigenwilliger, alter Freund», erschienen in Merum 2/16, April/Mai 2016, Seiten 18–22). Es gibt Ausnahmen: beispielsweise die Gran Selezione von Querceto di Castellina, San Vincenti oder Villa Trasqua und Castello d’Albola.

Die Unterscheidung von Chianti Classico, Chianti Classico Riserva und Chianti Classico Gran Selezione ist seit 2013 gültig (siehe «La piramide del Gallo Nero» vom Consorzio Vino Chianti Classico, nur auf italienisch verfügbar).

Wie steht es mit den Preisen?

Eine Umfrage bei den anwesenden Weingütern ergab einen Durchschnittspreis von 10 € für den Chianti Classico (Annata) und 40 € oder mehr für die Gran Selezione ab Hof. In der Schweiz bewegen sich die Preise für Weine mit dem Gallo Nero um die 20 Franken, bei den 2010ern, 2011ern oder 2012ern zwischen 30 und 60 Franken für die Gran Selezione.

Diese Weine haben mir gefallen

Villa Trasqua, Chianti Classico 2012

San Vincenti Chianti Classico 2012

Querceto di Castellina, Chianti Classico Gran Selezione Sei 2012

Castello d’Albola, Chianti Classico Gran Selezione il Solatio 2012

San Vincenti Chianti Classico Gan Selezione 2011

Alle Weine wurden am Montag, 29. Februar 2016, im Papiersaal der alten Sihlpapierfabrik, Zürich, degustiert. Der Anlass wurde vom Weinmagazin Vinum organisiert.